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In vielen Lebenssituationen haben Sie sicherlich erlebt, dass Belastungen sich sehr schwerwiegend anfühlen und zunächst keine Aussichten wahrzunehmen sind, um Entlastung und Lebensfreude wieder zu erleben. Umgekehrt haben Sie auch schon mal die Erfahrung gemacht, dass ein schwieriger Zustand auf der Gefühlsebene vorübergehend ist. Auch wenn ein Problem leidensdruck noch auslöst, sind schwerwiegende emotionale Zustände nie lebenslang auszuhalten. 

Heute möchte ich ein Modell eines Therapieansatzes vorstellen, das einen interessanten Umgang anbietet, um die belastenden Zeiten besser zu bewältigen, wenn jemand im emotionalen „Dreck“ steckt: die Akzeptanz- und Commitmenttherapie („Akzeptanz- und Bereitschaft-Therapie“, ACT). beruhend auf der Definition von Russ Harris, einer der wichtigen Vertreter dieses Ansatzes, ist ACT eine existenzielle, humanistische und achtsamkeitsbasierte Verhaltenstherapie, die als Bestreben hat, das psychische Leiden zu reduzieren und Menschen gleichzeitig zu ermöglichen, ein für sich sinnstiftendes und glückliches Leben aufzubauen. Die Ziele von ACT sind: 

  • Der Aufbau von psychologischen Kompetenzen, um die Auswirkung von schmerzhaften Gefühlen und Gedanken zu reduzieren, damit letztere uns nicht im Weg stehen, um unser Leben zu verbessern;
  • Klarheit darüber zu gewinnen, welche Werte wir im Leben vertreten möchten wie wir diese verwenden können, um unser Handeln zu leiten und somit unser Leben umzugestalten;
  • Der Fokus unserer Aufmerksamkeit darauf zu richten, was für uns wichtig ist und uns unseren Aufgaben/Unternehmungen/Aktivitäten widmen, die in diesem Moment relevant sind.

ACT geht davon aus, dass die Umstände, in denen wir leben, einen großen Einfluss darauf aufweisen, wie wir uns verhalten. Somit spielt die Umgebung eine wichtige Rolle und beeinflusst uns in unseren Entscheidungen und Verhaltensweisen. Ich finde eine solche Annahme über „Gott und die Welt“ wichtig, weil wir die Neigung haben könnten, plakativ die Verantwortung auf uns selbst zu schieben, um unser „Unglück“ zu erklären, als ob etwas mit uns nicht stimmen würde. Eine solche Sichtweise über uns selbst fördert noch mehr Unglück, weil diese Art Schuldzuweisung auf uns vielleicht noch mehr Druck auslösen könnte als nötig, weil es höchst selten nur an uns liegt, dass Probleme in unserem Leben auftreten. Stellen Sie sich vor, dass jemand seine Arbeitsstelle verloren hat, weil der Chef gemeint hat, dass seine Leistung ungenügend gewesen ist. Durch eine solche schmerzhafte Erfahrung wäre es leicht, Folgendes über sich selbst anzunehmen: „Wäre ich besser gewesen, hätte ich noch meinen Job.“ Wie wäre es, wenn ein Therapeut diesem Menschen sagen würde:

„Es mag sein, dass Sie besser hätten sein können. Haben Sie allerdings in Betracht gezogen, dass Ihr Chef Sie oft unter Druck gesetzt hat, ohne Ihnen weitere Unterstützung anzubieten? Es könnte auch sein, dass dieser Druck Sie daran gehindert hat, klar zu denken, um Ihre Aufgaben zu bewältigen. Hat er Ihnen Weiterbildungsangebote finanziert, damit Sie Ihre Leistung verbessern können? Hat er berücksichtigt, dass Sie Berufsanfänger sind und Sie noch nicht den Weitblick eines erfahrenen Kollegen haben? Natürlich wäre es schön, sich zu verbessern und nichts spricht dagegen. Es ehrt Sie, dass Sie ein besserer Mitarbeiter für die Zukunft werden möchten, gleichzeitig finde ich Nachsicht wichtig, um mit Mitgefühl mit sich selbst umzugehen.“

ACT verlangt von uns zu lernen, dass wir psychologische Flexibilität entwickeln. Das heißt, dass wir mit Flexibilität zwischen sechs Kompetenzen wechseln müssen, um diejenigen zu verwenden, die für eine Situation angemessen sind. Das Modell wird Hexaflex genannt (Hexa = sechs; flex = Flexibilität). Die Kompetenzen im Abbild heißen: 

  • Akzeptanz (offen sein);
  • Defusion (Entschmelzung; sein Denken achtsam beobachten);
  • Das Selbst als Kontext (das achtsame Selbst);
  • Werte (Was ist für Sie im Leben wichtig?);
  • Engagierte/Verpflichtete Handlung (das Notwendige tun)
  • Im jetzigen Moment leben.

Akzeptanz (offen sein)

Akzeptanz ist ein schwieriges Wort in Psychotherapie, weil viele Klienten den Begriff mit Resignation verwechseln. ACT möchte gezielt, dass wir daran arbeiten, belastende Situationen zu verbessern. ACT ist auf keinen Fall eine Einladung, das Leben über sich ergehen zu lassen. Die Akzeptanz hier heißt, dass unangenehmen inneren Erfahrungen (Gedanken, Emotionen, Erinnerungen, unangenehme Empfindungen und Bedürfnissen), die aufgetreten sind, Raum zu geben, anstatt dagegen zu kämpfen. In einer belastenden Situation sind diese Leiden erzeugenden inneren Erfahrungen sowieso da. Ich kenne selten den Fall, dass der Versuch, sich Gefühle, Gedanken und Bedürfnisse zu verbieten, zu einer Erleichterung führt. Als Sie z. B. sauer waren und jemand Ihnen daraufhin sagte: „Hör auf, es ist lächerlich, dafür sauer zu sein“, war das hilfreich für Sie? Ich kann mir kaum vorstellen, dass es Situationen gab, in denen Sie folgendermaßen antworteten: „Gott sei Dank hast du mir diesen Satz gesagt. Ich fühle mich jetzt deutlich besser“. Sollten Sie sich denken, „ich habe jetzt Verstanden, aber was mache ich daraus?“, gibt es andere Komponenten vom Hexaflex, dass wir uns ansehen werden. 

Defusion (Entschmelzung – sein Denken achtsam beobachten)

Die kognitive Defusion (oder nur Defusion) bedeutet, dass man lernt, seine Gedanken wahrzunehmen, zur Kenntnis zu nehmen und sich von diesen zu trennen. Sie haben sicherlich den Satz gehört, dass wir unsere Gedanken nicht sind. Wenn ein Gedanke hochkommt und Ihnen sagt, dass Sie schlecht, dumm oder eine andere Beleidigung sind, ist das die Realität darüber, wer Sie sind? Sind Sie nur schlecht? Wahrscheinlich nicht. Problematisch ist, dass es gewisse Gedanken gibt, an denen wir festhalten, weil sie sich so wahr anfühlen. Wenn jemand z. B. sehr viele schlechte Erfahrungen mit anderen Menschen gemacht hat, bei denen diese Menschen nicht zuverlässig gewesen waren, hat sich ein Konzept in seinem Kopf verfestigt, dass es wichtig für die eigene Sicherheit ist, zunächst einmal misstrauisch zu sein, wenn jemand sich nicht seinen Vorstellungen entsprechend verhält: „Das ist schon wieder ein Beweis, dass ich niemandem vertrauen kann. Ich muss alles alleine machen“ Solche Gedanken sind ein Hindernis, weil sie sehr dominant im Kopf bleiben und sie jegliche Erfahrung verhindern, sich auf Menschen verlassen zu können. Somit bleibt dieser Menschen in einem enormen Druck, sehr viel alleine zu bewältigen, bis er dann körperlich erschöpft ist oder krank wird, obwohl einige Personen um ihn herum zuverlässig sein könnten, aber sich nicht so perfekt verhalten haben, wie er es bräuchte, um sich zu erlauben, sich zurückzulehnen. An seinen Gedanken festzuhalten bedeutet, dass wir diese uns dominieren lassen und wir sie nicht loslassen, auch wenn diese in dem Moment nicht hilfreich sind. Gedanken sind Konzepte und somit ein Annäherungsversuch, die Wirklichkeit abzubilden, um seinen Alltag zu strukturieren, aber diese sind trotzdem nicht die Wirklichkeit darüber, wie die Welt funktioniert. Eckhart Tolle gibt in seinen Büchern und Vorträgen an, dass Gedanken wie Werkzeuge sind: der richtige Gedanke zum richtigen Zeitpunkt und zum richtigen Zweck. Von Gedanken, die in dem Moment nicht hilfreich sind, kann und darf man sich distanzieren. Das heißt, sich nicht mehr mit ihnen zu identifizieren oder sie zu ernst zu nehmen. 

Das Selbst als Kontext (das achtsame Selbst)

In unserer Kultur wird der Geist in zwei Teile aufgeteilt: Der Teil, der Gedanken, Glaubenssätze, Erinnerungen, Fantasien und Empfindungen und Emotionen erzeugt; und der Teil, der all diese Erzeugungen wahrnimmt. Wenn der zweite Teil sprechen könnte, würde er sagen: „Ich beobachte jetzt, dass ich negative Gedanken habe, weil jemand auf der Straße mich nicht begrüßt hat.“ In der Fachsprache könnte man von Metakognitionen sprechen: Gedanken, die unsere Gedanken, Gefühle usw. analysieren. Solche Ereignisse finden regelmäßig in psychotherapeutischen Gesprächen statt: Sie sagen einen Satz, der mit gewissen Emotionen oder Vorstellungen geladen sind und Ihnen nicht bewusst sind.  Der Therapeut leuchtet diese unbewussten Anteile auf. In einem therapeutischen Setting könnte man sagen, dass der Therapeut Ihr achtsames Selbst ist, was Sie im Laufe eines psychotherapeutischen Prozesses lernen, achtsam mit sich selbst zu sein. 

Das achtsame Selbst oder das Selbst als Kontext beim Hexaflex weist eine andere Definition auf. Es handelt sich um die Fähigkeit der Perspektivenübernahme. Menschen treffen Entscheidungen, um gewisse Handlungen durchzuführen. Zu berücksichtigen ist, dass diese Entscheidungen grundsätzlich in einen Kontext eingebettet sind. Jede Entscheidung ist von vielen Faktoren beeinflusst:

  • Was wurde Ihnen gesagt oder getan, was Ihre Handlungen beeinflusst hat?
  • Haben Sie alles wahrnehmen können, was in dem Moment der Entscheidungsfindung nötig gewesen wäre, um in Ihrem Interesse zu handeln?
  • Welche Vorgeschichte haben Sie, was Ihre Wahrnehmungen in der Gegenwart prägt? In welcher Umgebung sind Sie aufgewachsen?
  • Welche Ziele haben Sie für Ihre Zukunft, was auch einen Wegweiser für Entscheidungen darstellen kann?
  • Zu welchem Zeitpunkt haben Sie etwas zu jemandem gesagt; in einer ruhigen Minute oder während des Höhepunktes des Konfliktes?
  • Wurden Sie ausreichend über die Situationen, in denen Sie sich befinden, aufgeklärt?
  • Welche Kompetenzen haben Sie oder nicht? Welche Kompetenzen haben Sie oder nicht?
  • Haben Sie eine unterstützende Umgebung oder müssen Sie tendenziell die Dinge mit sich selbst ausmachen?

Das Selbst als Kontext soll eine Einladung sein, Mitgefühl für sich selbst und eventuell für die anderen zu haben. All die Entscheidungen, die Sie in ihrem Leben getroffen haben, sind viel komplexer als ein Gedanke wie: „Ich habe das gemacht, weil ich dumm bin.“ oder „Er ist über die rote Ampel gefahren, weil er ein Arschloch ist“. 

Werte (Was ist für Sie im Leben wichtig?)

Werte sind ein wichtiger Bestandteil davon, wie ich mein Leben aufbauen möchte. Wie möchte ich andere Menschen behandeln? Wie möchte ich, wie andere mit mir umgehen? Was ist wichtig für Sie in Ihrem Leben? Wünschen Sie sich Ehrlichkeit, Respekt, Effizienz, Liebe, Gemeinsamkeit, Solidarität, Hilfsbereitschaft, Selbstständigkeit, Selbstbestimmung oder andere Werte, die als Wegweiser fungieren sollten, um zu wissen, wohin diese Reise hingehen soll? Werte geben uns eine Orientierung, um unser Leben in eine positive Richtung trotz Herausforderungen aufzubauen. Werte ermöglichen uns, unser Handeln so zu strukturieren, damit unser Leben an Sinn gewinnt, insbesondere wenn wir durch eine Sinnkrise durchgehen und dadurch verloren sind. 

Engagiertes/Verpflichtetes Handeln (das Notwendige tun)

Da Werte uns einen Rahmen geben, um unser Handeln zu strukturieren, bedeutet ein engagiertes Handeln, dass wir versuchen, potenziell wirksame Verhaltensweisen und Ideen umzusetzen, damit wir Probleme lösen oder Ziele erreichen können. Sollte uns eine Fähigkeit fehlen, um z. B. entspannter durch Herausforderungen durchzugehen, wäre es eine Überlegung, sich selbst zu verpflichten, sich für Meditationskurse anzumelden. Sollte uns eine Kompetenz in der Arbeit fehlen, dann können wir uns informieren und sich dementsprechend einen Plan machen, um diese Kompetenz erwerben zu können. Oft wird von ACT gehalten, dass wir in Anbetracht unserer Machtlosigkeit versuchen, das Beste aus dem Nicht-Veränderbaren zu machen, insbesondere durch Akzeptanz. Eine solche Definition von ACT geht eher in Richtung von Resignation/Kapitulation. Sollte etwas veränderbar sein, ist ACT erst recht eine Einladung dazu, nach allen Möglichkeiten zu suchen, die zu unseren Werten und Lebenszielen passen, eine Situation zum Positiven zu verändern. Akzeptanz heißt nur, den jetzigen Moment, der uns eventuell nicht gefällt, zuzulassen. 

Im jetzigen Moment leben 

Wenn wir versuchen, unsere Realität im Hier und Jetzt zu leugnen oder dagegen zu kämpfen, ist es sehr kräftezehrend. Der Versuch, ein Gefühl oder eine „Realität“ nicht wahrhaben zu wollen, kostet viel Energie, um diese (höchstwahrscheinlich) ohne Erfolg auszublenden. Wenn ich mir vormachen möchte, dass mein Leben das Beste ist, obwohl ich mit vielen Dingen unzufrieden bin, muss ich viele Verzerrungen in meine Gefühle, Gedanken und Wahrnehmungen einbauen, um den jetzigen Zustand auszuhalten. Psychotherapeutisch ist es zu vermuten, dass ein solcher Mensch Konflikte mit seiner Umgebung vermeidet, um seine Bedürfnisse nicht vertreten zu müssen, weil er davon ausgeht, dass er den Kürzeren ziehen wird und eventuell Verluste (Verlust des Arbeitsplatzes, einer Freundschaft usw.) erleiden wird. Die Angst vor Verlusten in diesem Fall blendet die Möglichkeiten aus, die im Hier und Jetzt sind, um etwas zu verändern: Möglichkeiten für neue Erfahrungen und die Wahrnehmung dieser Möglichkeit werden ausgeblendet oder unmöglich gehalten. Das Leben im Hier und Jetzt ist eine Form der Achtsamkeitsübung, in dem wir unsere Aufmerksamkeit flexibel auf verschiedene Dinge (Empfindungen, Wahrnehmungen, Möglichkeiten, Gefühlen, Gedanken, usw.) ausrichten, intensivieren, unseren Horizont erweitern (oder bei Bedarf verengen, um sich auf das Wesentlich zu fokussieren). Es handelt sich um den Versuch, soweit es für Sie in diesem Moment möglich ist, sich auf neue Erfahrungen einzulassen. 

Abschlusswort

Ich danke Ihnen ganz herzlich, dass Sie sich die Zeit genommen haben, diesen Beitrag zu lesen. Ich hoffe sehr, dass diese Überlegungen Ihnen einen Denkrahmen anbieten können, um mit Herausforderungen des Alltags umgehen zu können. 

Quellen

Das ist ein Beitrag von Pierre-Marc Paré. Um meine Homepage zu besuchen, klicken Sie hier

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