Skip to main content

Obwohl es sich um ein Blog über Psychotherapie handelt, habe ich mir sehr viel Zeit gelassen, um „the elephant in the room“ zu thematisieren. Wenn über psychologische Probleme in den Medien diskutiert wird, werden Symptome bezogen auf Angst oder Depression erwähnt.

Was mich angeht, habe ich das Thema oft vermieden, weil Begriffe wie Angst und Depression zunächst einmal wenig über die Menschen, die darunter leiden, aussagen. Ohne ein Beispiel zitieren zu können, werden Menschen mit chronischer Depression in den Medien dargestellt, als ob sie unter einem Virus leiden würden, indem geäußert wird, dass sie Depressionen „haben“. Ich habe ebenfalls erlebt, dass Ärzte der Meinung sind, dass, wenn man depressiv sei, man sein ganzes Leben damit leben müsse: Die Depression werde immer wieder erscheinen. Es ist wie ein grippaler Infekt: Jedes Jahr kann man sich mit der Grippe anstecken; manchmal wird man krank und manchmal nicht. Zum Teil habe ich solche Äußerungen von Klienten erfahren.

Die vielfältigen Symptome von Depression

Ein Grund, weshalb ich lieber über Schwierigkeiten im Umgang mit Emotionen oder über die Struktur der Persönlichkeit geschrieben habe, bezieht sich darauf, dass solche Probleme vorstellbarer sind, wie man damit umgehen kann. Jeder hat eine Vorstellung davon, dass es wichtig ist, sich emotional besser zu fühlen. Zusätzlich ist es ebenfalls vorstellbar, was mit einem Menschen mit einer „schwierigen Persönlichkeit“ passieren soll, damit er weniger Probleme hat oder man einen leichteren Umgang mit ihm erleben kann. Dabei heißt es nicht, dass Persönlichkeitsprobleme oder schwere Emotionen leichtere Probleme sind als das Thema „Depression“. Der Sachverhalt, was sich verändern sollte, ist zumindest sichtbarer als bei Depressionen.

Da es sich beim Letzteren um meine persönliche Meinung handelt, möchte ich versuchen, diese zu begründen. An dieser Stelle möchte ich die Symptome von Depression darstellen. Es gibt verschiedene Schweregrade von Depression: Je mehr Symptome man hat, umso „schwerer“ wird die Depression sein:

  • Sich mindestens zwei Wochen lang fast durchgängig niedergeschlagen oder traurig fühlen;
  • Fast jeden Tag das Interesse oder die Freude an fast allen Aktivitäten verloren haben, die gewöhnlich Freude machen (Interessenverlust/Freudlosigkeit/Einschränkung der Aktivitäten);
  • Antriebsmangel;
  • Appetitsverlust oder gesteigerter Appetit;
  • Ein- und Durchschlafprobleme oder zu frühes Erwachen/vermehrter Schlaf;
  • Nervosität, Agitiertheit oder Verlangsamung;
  • Schnelle Müdigkeit bei Anstrengung;
  • Gefühl der Wertlosigkeit;
  • Schuldgefühle;
  • Konzentrationsprobleme und Schwierigkeiten, Entscheidungen zu treffen;
  • Selbstmordgedanken (rufen Sie bitte einen Krisendienst für psychische Belastungen an und holen Sie sich bitte Hilfe, wenn diese Gedanken zunehmend Platz einnehmen.)

Die drei ersten Symptome gelten als die „Hauptsymptome“ von Depression und alle weiteren Symptome gelten als Zusatzsymptome. Dabei kann man feststellen, dass man nicht alle Symptome erfüllen muss, um diese Diagnose zu bekommen. Zum Beispiel braucht man nur zwei Hauptsymptome und ein Zusatzsymptom, um die Kriterien einer leichten depressiven Episode zu erfüllen. Bei der mittelgradigen Depression sind es zwei Hauptsymptome und drei Zusatzsymptome und bei der schweren Depression müsse alle drei Hauptsymptome und mindestens fünf Zusatzsymptome vorhanden sein.

Aufgrund der möglichen Kombinationen ist es selten der Fall, dass jede Depression sich ähneln wird. Jeder Mensch, der unter einer depressiven Episode leidet, wird höchstwahrscheinlich seine einzige „Art und Weise“ haben, darunter zu leiden. Darüber hinaus sind die Symptome zum Teil unspezifisch: Einige verlieren den Appetit und andere haben zu viel Appetit. Andere fühlen sich schuldig, während dieses Thema bei anderen schwächer ausgeprägt ist. Einige können sehr viel schlafen, andere schlafen weniger. Somit ist es schwer zu definieren, was eine Depression genau ist, weil sie verschieden erscheinen kann. Dadurch wird die Handhabung zu ungenau, wenn ich den Menschen hinter der Depression nicht kennenlernen kann.

Wegen der Vielfalt der Symptome können wir zunächst einmal davon ausgehen, dass jede Depressionsbehandlung einzigartig sein muss. Darüber hinaus hat jeder Mensch, der depressiv geworden ist, einen Hintergrund, weshalb dieses Problem bei ihm zu diesem Zeitpunkt in seinem Leben aufgetreten ist, was die Wichtigkeit einer maßgeschneiderten Intervention in den Vordergrund treten lässt. Thaipisuttikul und Kollegen haben in ihrer Untersuchung herausgefunden, dass 35,3% der Patienten, die unter einer schweren Depression leiden, die Kriterien einer oder mehr psychischen Störung(en) erfüllen. Die Erscheinung einer depressiven Episode kann ebenfalls mit körperlichen Erkrankungen verknüpft sein, wenn die Belastungen der körperlichen Symptome für die Betroffenen schwer zu verarbeiten sind. Zudem werden die Lebensumstände und die Biographie eines Menschen die Auftrittswahrscheinlichkeit einer depressiven Episode zu einem spezifischen Zeitpunkt seines Lebens beeinflussen.

Laut der Behandlungsrichtlinien wird empfohlen, die individuellen Ziele und den Kontext des Patienten zu berücksichtigen, um die Behandlung zu gestalten. Es wird ebenfalls empfohlen, bei einer leichten Depression Psychotherapie zu machen und in den seltenen Fällen wird eine Medikation dazu empfohlen. Bei einer mittelgradigen Depression kann eine Kombination aus Medikation und Psychotherapie empfohlen werden, aber es ist ebenfalls wichtig, die Vorzüge der Betroffenen zu berücksichtigen (z. B. nur Psychotherapie ohne Medikament). Nur bei der schweren Depression ist die Indikation (Notwendigkeit) für ein Medikament zusätzlich zur Psychotherapie gegeben.

Wie können wir die Entstehung einer depressiven Symptomatik verstehen?

Bei der Thematik der Depression gibt es viele Theorien, die herangezogen werden können, um die Entstehung einer depressiven Symptomatik nachzuvollziehen.

Auf der etymologischen Ebene bedeutet das Wort Depression „niederdrücken“. Tatsächlich können Betroffene von einer depressiven Symptomatik die Erfahrung machen, dass Menschen ihnen sagen, dass es ihnen bereits passiert sei, traurig zu sein. Somit solle sich die betroffene Person „zusammenreißen“. Die Härte und fehlende Empathie hinter dieser Aussage zeigt, dass das Wort niederdrücken und dessen Bedeutung nicht richtig begriffen wird, um eine solche Härte Betroffenen von Depression zu zeigen.

Der Begriff „niederdrücken“ bezieht sich nicht nur auf die Stimmungslage, sondern auch auf das Erleben der Verlangsamung des Körpers. Es kann sich um eine anstrengende Erschöpfung handeln und dabei hat der Betroffene eingeschränkte Energie, dem Alltag nachzugehen. Deswegen ist es wichtig zu begreifen, dass eine Depression nicht nur ein psychisches Erleben, sondern auch ein Körperliches.

Jim Carrey sagte in einem bekannten Interview, dass eine Depression sich wie eine tiefe Erholung („deep rest“) anfühle. Darüber hinaus fügte er hinzu, dass der Körper des Betroffenen sich dagegen wehre, eine Rolle in der Gesellschaft oder im Umgang mit sich selbst zu spielen. Das heißt, dass der Körper als gesamte Einheit wahrnimmt, dass die aktuelle Lebensführung mit den damit einhergehenden Abwehrmechanismen und Bewältigungsstrategien nicht mehr erstrebenswert ist, während der Betroffene selbst dies nicht wahrnimmt. Somit nimmt der Körper wahr, dass der Umgang mit der aktuellen Lebenslage nicht passt, während die Person es auf der bewussten Ebene nicht wahrnimmt. Mit anderen Worten: Weil der Mensch in einem Hamsterrad gefangen ist (ohne diesen Zustand merken zu können), zwingt der Körper diesen Menschen, sich zu bremsen (das „Niederdrücken“). Aufgrund dieser massiven Bremsung wird der Mensch eventuell anfangen, seine Lebensführung in Frage stellen. Wenn ich voll mit meinem Alltag beschäftigt bin und es keine Ruhe Momente gibt (wie im Hamsterrad), kann ich keine Energie freisetzen, um in Frage zu stellen, ob meine aktuelle Lebensführung mir passt.

Während die Möglichkeit besteht, die Aussage von Jim Carrey widerlegen zu wollen, würde meine Arbeit mit Klienten eher diese bestätigen: Klienten in psychotherapeutischer Behandlung können tatsächlich im Nachhinein wahrnehmen, dass es notwendig gewesen war, eine andere Lebensführung zu entwickeln, um wieder Interesse und Teilhabe am Leben zu entwickeln. Die Psychotherapie ist ein Raum, um Glaubenssätze in Frage zu stellen und zu versuchen, neue Strategien gegen die aktuellen Herausforderungen zu entwickeln. Mit neuen Strategien, die bewusster ausgewählt werden, hat man eine bessere Chance, eine für uns passende Rolle in der Gesellschaft anzunehmen.

Jim Carreys Gespür stellt nur ein mögliches Modell von mehreren dar. Hier sind weitere Überlegungen im Rahmen des Modells nach Lewinson.

Verstärkerdefizitmodell nach Lewinson

Ein in der Verhaltenstherapie bekanntes Modell ist das Verstärkerdefizitmodell. Dieses Modell besagt, dass Menschen erst dann depressiv werden, wenn sie z. B. zu wenig Belohnung, Lob, Anerkennung (ein Verstärker) für ihr Verhalten bekommen. Dies kommt öfter zustande, wenn negative Lebensereignisse sich aufsummieren. Aufgrund dieser Lebensereignisse greifen die üblichen Verhaltensweisen (z. B. fleißig in der Arbeit sein, Engagement im Haushalt) nicht mehr, um verstärkt zu werden. Somit hört der Mensch auf, diese Verhaltensweisen auszuüben. Stattdessen entsteht eine Vermeidungshaltung mit passenden Verhaltensweisen (z. B. Alkohol trinken), die die Probleme verstärken. Kurzfristig erlebt der Mensch eine Erleichterung (z. B. Genuss beim Bier Konsum mit einer Entlastung von den üblichen Pflichten), was das Verhalten verstärkt, während die negativen Konsequenzen (z. B. Probleme in der Arbeit und mit der Familie) entweder aufrechterhalten oder verschlimmert werden. Eine Vermeidungshaltung verhindert den Menschen, seinen Werten und Lebenszielen entsprechend zu handeln. Probleme werden „einfach“ vermieden. Wenn diese Vermeidungshaltung sich über mehrere Lebensbereiche hinweg zeigt, erfährt der Mensch fast keine positive Resonanz in seiner Umgebung, was das Leben sinnlos erscheinen lässt. Abschließend hat sich ein Teufelskreis aufgebaut.

Laut dieses Modells ist es wichtig, die soziale Teilhabe des Menschen erneut zu fördern, um aus der Depression herauszukommen. Darüber hinaus wird es als sinnvoll erachtet, die Person zu animieren, erneut Verhaltensweisen auszuüben, die die Wahrscheinlichkeit erhöhen werden, Belohnung, Freude, Lob, Anerkennung zu bekommen.

In meinem Alltag in der therapeutischen Arbeit zeigt sich dieses Modell darin, Menschen bewusst zu zeigen, dass ihre Verhaltensweisen dazu führen, eine kurzfristige Erleichterung spüren zu können, während die Probleme langfristig nicht gelöst werden oder eine positive Lebensführung verhindert wird. Es ist von Belang, dass der Mensch erneut lernt, unangenehme kurzfristige Nachteile in Kauf zu nehmen (z. B. für eine Prüfung zu lernen), um längerfristig ein wertvolles Leben zu führen (z. B. die Wahrscheinlichkeit erhöhen, die Prüfung zu bestehen und den erwünschten Abschluss zu bekommen.).

Das Modell von Lewinson macht eher keinen Bezug auf die Biographie der Betroffenen zum Thema Depression. In den ursprünglichen Erklärungsmodellen der Verhaltenstherapie zur Entstehung psychischer Probleme war dies selten der Fall. Gegenwärtig berücksichtigt die Verhaltenstherapie zunehmend die Biographie der Klienten. In meiner aktuellen Arbeit, wenn ich mir die für eine angenehme Lebensführung hinderlichen Gewohnheiten meiner Klienten ansehe, nehme ich mir bewusst die Zeit, die Entstehung dieser Gewohnheiten zu analysieren. Wenn es sogar von Bedeutung ist, die frühe Kindheit zu explorieren, finde ich das sinnvoll, um Verhaltensänderungen nachhaltig herbeizuführen.

Der Philosoph Charles Pépin erklärt in Anlehnung an die Neurowissenschaften, dass die Befreiung von der eigenen Vergangenheit entstehen könne, wenn ich tiefgründig verstehen könne, wie meine Vergangenheit mich heute beeinflusse. Diese Haltung entspricht einer tiefenspsychologischen Anschauung von Psychotherapie. Meiner Erfahrung nach ist es richtig zu behaupten, dass das Ausprobieren neuer Verhaltensveränderungen einem Menschen leichter fällt, wenn er gut versteht, warum er nicht hilfreiche Verhaltensweisen chronisch pflegt. In der Bewusstwerdung der Gründe für hinderliche Gewohnheiten entsteht ein Raum (bildlich gesprochen), in dem der Mensch die Fähigkeit entwickelt, sich für neue Bewältigungsstrategien zu entscheiden. Viktor Frankl behauptete, dass zwischen Reiz und Reaktion ein Raum liege, in dem wir die Freiheit und die Macht hätten, unsere Reaktion zu wählen.

Im nächsten Blog-Beitrag werde ich ein Modell zur Entstehung von chronischer Depression und zur Dysthymie (damals unter der „depressiven“ Persönlichkeit bekannt, was dem aktuellen Zustand der Wissenschaft widerspricht.) darstellen, was einer Verknüpfung zwischen Verhaltenstherapie und tiefenpsychologisch fundierter Psychotherapie entspricht.

Abschließende Worte

In unserem heutigen Verständnis von Depression ist es davon auszugehen, dass der Mensch depressiv wird, wenn seine Kompetenzen und seine (automatischen) Gewohnheiten nicht mehr ausreichend sind, um die aktuellen Probleme im Hier und Jetzt zu bewältigen. Der Körper fährt sich herunter, weil alternative Bewältigungsstrategien und/oder Ressourcen (Fähigkeiten und Hilfequellen) fehlen, um die aktuelle Lebenssituation zufriedenstellend umzugestalten. Dabei wird eine fehlende Klarheit über die eigenen Werte sichtbar, was die Gestaltung eines sinnvollen und zufriedenstellenden Lebens unterstützen würde. Daraus entsteht eine starke Vermeidungshaltung, die wahrscheinlich als Selbstschutz gegen weitere Kränkungen und/oder Verletzungen fungiert. Diese Schonungshaltung hilft kurzfristig, sich zu entlasten. Langfristig wird der Mensch verhindert, positive Alltagsaktivitäten, in der er Lob, Anerkennung, Belohnungen und Freude erfahren würde, in den Alltag zu integrieren.

Zusätzlich zu einem tiefgreifenden Verständnis der Depressionssymptomatik ist es von Belang, den Menschen Stück für Stück dazu zu animieren, angenehme und für ihn sinnvolle Aktivitäten aufzubauen, um aus diesem Teufelskreis der Vermeidung herauszukommen, damit er mehr Positivität im Alltag erfahren kann. Sollte es hilfreich sein, seine Lebensführung in Frage zu stellen und längerfristig große Veränderungen (z. B. Jobwechsel, Ortswechsel, Umschulung, Aufbau neuer Beziehungen oder Beendigung aktueller Beziehungen) herbeizuführen, können wir solche Maßnahmen in der Behandlung einer Depression  in Betracht ziehen. Im Sinne von Jim Carrey können solche größeren Veränderungen von Belang sein, um eine alte Rolle abzulegen, die zu uns nicht mehr passt.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Quellen

Etymologie von Depression auf Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Depression

Fassbinder, E., Klein, J. P., Sipos, V., & Schweiger, U. (2015). Therapie-Tools Depression. Beltz.

Buch von Viktor Frankl: https://www.thalia.de/shop/home/artikeldetails/A1000950084

Jim Carrey zum Thema Depression: https://www.youtube.com/watch?v=ZIqria9jU9A

Leitlinien zur Behandlung von Depression:https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/nvl-005

Leitlinien zur medikamentösen Behandlung von Depression: https://www.akdae.de/fileadmin/user_upload/akdae/Arzneimitteltherapie/AVP/Artikel/201803/141.pdf

Interview mit Charles Pépin auf Französisch : https://www.youtube.com/watch?v=orOxuIHT_vc&t=1388s

Buch von Charles Pépin auf Deutsch : https://www.thalia.de/shop/home/artikeldetails/A1071332885

Thaipisuttikul, P., Ittasakul, P., Waleeprakhon, P., Wisajun, P., & Jullagate, S. (2014). Psychiatric comorbidities in patients with major depressive disorder. Neuropsychiatric disease and treatment, 2097-2103.

psychotherapie-pare.online

Author psychotherapie-pare.online

More posts by psychotherapie-pare.online

Leave a Reply