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(Notiz: Dieser Artikel ist ein Experiment zum Thema Manipulation und ich freue mich auf Ihre konstruktiven Rückmeldungen.)

In der Welt der Psychotherapie sind wir Therapeuten in einer Sonderrolle: Wir bekommen den Auftrag, eine Störung zu behandeln. Das primäre Ziel von Patienten ist, dass die Symptome, die mit der Störung einhergehen, verschwinden. Was die Situation einzigartig macht, ist unsere merkwürdige Rolle. Einerseits sind wir Behandler, andererseits sind wir genauso Menschen wie unsere Patienten. Einerseits haben wir eine Expertenrolle durch unser Wissen, andererseits sind wir wie eine Bindungsperson, der vertrauen geschenkt wird. Der Aufbau dieses Vertrauens ermöglicht uns, einen guten Kontakt zu unseren Patienten zu finden, um anschließend daran zu arbeiten, wie ihre Gegenwart sich verbessern kann. Es gibt allerdings kein Patentrezept, was uns besagt, wie genau wir mit unseren Patienten umgehen sollten. Die psychotherapeutischen Richtlinien geben uns außerdem Vorstellungen davon, was wir ungefähr erreichen sollten, damit unsere Patienten sich wohler fühlen. Allerdings wissen wir nie im Voraus, wie dieses „Wohlfühlen“ aussehen wird, weil jeder Mensch seine eigene Lösung zu seinen Problemen entwirft. Zusammenfassend würde ich es so formulieren: Wir wissen nie genau im Vorfeld, wie wir die Beziehung zu einem/einer Patienten/Patientin gestalten sollen und wie das Glück dieser Person aussehen soll.

Die meisten psychischen Störungen sind durch Beziehungsprobleme entstanden. Durch kritische Lebensereignisse im Umgang mit anderen Menschen oder kleine belastende Erlebnisse mit wichtigen Bezugspersonen, die sich in Summe sehr oft wiederholt haben und sehr belastend wirken, gibt es einen Leidensdruck. Solche Ereignisse bringen Lernerfahrungen mit sich. Weil diese Lebenserfahrungen sehr schmerzhaft sein können, reagiert der Körper heftig. Die starke Reaktion des Körpers ist dieser Leidensdruck und er ist dafür da, um uns zu schützen. Zumeist sind diese Reaktionen Emotionen und/oder körperliche Symptome. Die Reaktionen sind wie Signale, die uns sagen, dass wir auf alle Fälle ähnliche belastende Situationen vermeiden sollten. Wir wollten achtsam bleiben, damit diese Belastungen nie wieder passieren.

Viele dieser Belastungen finden in Situationen statt, in denen wir mit einer Person gebunden sind. Zu unseren Eltern sind wir als Kind stark gebunden. In jeder Beziehung, in der ein Mensch uns am Herzen liegt, sind wir gebunden. Diese Menschen sind erfüllen unsere Bedürfnisse und höchstselten kann ein Mensch seine Bedürfnisse alleine befriedigen. Auch wenn jemand meint, dass er das schaffen kann, befriedigt er seine Bedürfnisse fast immer durch Produkte oder Erzeugungen anderer Menschen. In einer Bindungssituation kann ein Mensch unsere Bedürfnisse nicht immer befriedigen. Dabei werden Bedürfnisse frustriert und als Konsequenz entsteht Leiden. Ein unerfülltes Bedürfnis geht nicht einfach weg, auch wenn wir wissen und verstehen, dass die aktuelle Lebenslage uns verhindert, das Bedürfnis zu befriedigen. Im Gegenteil bleibt es frustriert und der Körper/die Seele sucht nach einem neuen Ventil, um das Bedürfnis zu befriedigen.

Als Einzelereignis ist ein frustriertes Bedürfnis an sich nichts Gravierendes, insbesondere wenn unsere wichtigen Bezugspersonen in anderen ähnlichen Situationen das frustrierte Bedürfnis erfüllen. Dabei machen wir die Erfahrung, dass es Momente im Leben gibt, in denen Menschen zur Verfügung stehen, um uns zu helfen und in anderen Situationen nicht. Eine solche Erfahrung gibt uns sogar eine Orientierung, um zu wissen, wann wir ein von uns wichtiges Bedürfnis ansprechen sollen und wann nicht. Es vermittelt uns ein Gefühl der Kontrolle/der Handhabbarkeit, um zu wissen, wie wir mit anderen Menschen umgehen sollten, damit unser Bedürfnis befriedigt wird und unsere Bezugspersonen das gerne für und mit uns machen.

Wie sieht es dann aus, wenn unsere wichtigen Bezugspersonen unsere Bedürfnisse nahezu systematisch frustrieren? Sie können schon mal davon ausgehen, dass die Biologie des menschlichen Körpers anstrebt, diese Bedürfnisse befriedigt zu bekommen. Bedürfnisse sind dafür da, damit es uns gut geht und diese ermöglichen uns, uns zum Guten zu entwickeln. Ein Hungergefühl geht nicht weg, weil ich mich entscheide, dieses Gefühl zu ignorieren. Psychische Bedürfnisse funktionieren genauso. Wenn jemand Anerkennung für seine guten Taten bekommen möchte, möchte er von seinen Mitmenschen gesehen werden, um seinen Wert in seiner Gesellschaft zu definieren. Wenn jemand Liebe von anderen Menschen bekommen möchte, will er ein Gefühl der Zugehörigkeit, der Geborgenheit und des Vertrauens spüren, was ihm hilft, sich in Sicherheit zu fühlen und in anderen Menschen Heimat zu finden.

Eine solche Situation, in der Bedürfnisse systematisch frustriert werden, ist für den Körper sehr problematisch. Wie vorhin erwähnt, gehören unsere Bedürfnisse zu unserer Natur als Lebewesen: Sie möchten und müssen erfüllt werden. Systematisch frustrierte Bedürfnisse werden ein anderes Ventil finden. Wenn z. B. das Bedürfnis nach Anerkennung systematisch frustriert wird, indem der Mensch regelmäßig abgewertet wird, kann dieser Mensch nicht einfach akzeptieren, dass er wertlos ist. Es ist eine extrem schmerzhafte Erfahrung, die unserer Natur nicht entspricht. Jeder Mensch ist für sich selbst wichtig. Ohne sich selbst gibt es keine Möglichkeit, mit der Welt verbunden zu sein. Ohne davon auszugehen, dass unsere Wahrnehmungen, Empfindungen und Gefühle wichtig sind, gibt es keine Möglichkeit, einen sinnvollen Kontakt zur Welt aufzubauen, da wir stets verunsichert werden würden und dabei würde unser Handlungsspielraum immer kleiner werden. Somit wird eine mit Abwertungen geplagte Psyche mit zwei Dingen kämpfen müssen: Der Gewinn von Anerkennung in einer sozialen Struktur, die keine Wertschätzung zeigt und mit der Vorstellung, wertlos zu sein, obwohl diese Vorstellung unserem Naturell gar nicht entspricht. Sollte dieser Schmerz zu intensiv werden, wird es einen dritten Kampf geben: Die Unterdrückung des Schmerzens und die Umgestaltung des Lebens in einer Art und Weise, damit der Schmerz, der sich für die Psyche sehr gefährlich anfühlt, nicht mehr spürbar wird.

An dieser Stelle wird die Psyche ein neues Ventil finden müssen, um zu kompensieren, dass sie ihre Bedürfnisse nicht befriedigen kann. Anstatt gezielt daran zu arbeiten, Anerkennung zu bekommen, werden Umwege eingenommen, die sehr problematisch werden können:

  • Die Entwicklung eines sehr starken Geltungsbedürfnisses, das im Umgang mit anderen Menschen sehr viel Platz einnimmt und die zwischenmenschlichen Beziehungen vergiftet, weil die anderen gezwungen sind, darauf zu reagieren oder die Person zu ignorieren;
  • Die Entwicklung eines extremen Rückzugsverhaltens mit der massiven Angst, Entscheidungen zu treffen und auf Risiken einzugehen;
  • Die Ausübung von Dominanz, damit unsere Mitmenschen dermaßen eingeschüchtert werden, sodass er sich niemals trauen, eine Kritik auszuüben.

Außer bei der zweiten Alternative können wir erkennen, dass es sich um eindeutig manipulative Verhaltensweisen handelt, um entweder gesehen zu werden oder nicht angegriffen zu werden. Bei der zweiten Alternative handelt es sich um heftige Vermeidungsstrategien, die dazu führen, dass die Umgebung die mangelnde Verantwortungsübernahme kompensieren muss, um das Überleben des Betroffenen abzusichern. Indirekt ist es auch ein Manipulationsversuch, weil die Umgebung sich gezwungen fühlt, die „Faulheit“ der von den Symptomen betroffenen Person zu kompensieren.

Die drei Strategien sind Beispiele dafür, was ich unter Ventilen gemeint habe. Der Mensch nimmt massive Umwege in Kauf, um entweder sein Bedürfnis erfüllt zu bekommen, sich mit dem Bedürfnis gar nicht konfrontieren zu müssen oder die Personen, die das Bedürfnis erfüllen könnten, seelisch zu zerstören. Ersichtlich ist, dass es unvermeidbar ist, dass solche manipulativen Verhaltensweisen Konflikte mit sich bringen werden. Solche Menschen wurden so oft enttäuscht und verletzt, dass sie auf der Beziehungsebene davon ausgehen, dass die anderen kein Interesse daran haben, ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Darüber hinaus bringt es uns sehr wenig, die Menschen, die uns durch solche Methoden schlecht behandeln, zu kritisieren, weil diese davon ausgehen, dass wir schuldig daran sind, dass sie sich manipulativ verhalten haben. Zudem ist die Manipulation diesen Menschen überhaupt nicht bewusst, wenn die psychische Störung massiv ausgeprägt ist. Sie manipulieren Menschen automatisch, ohne dies zu erkennen.

Wenn wir mit jemanden umgehen müssen, der versucht, uns zu manipulieren, haben wir die Möglichkeit, uns zu distanzieren oder klare Regeln aufzustellen, worauf wir bestehen dürfen, um neue Konflikte zu vermeiden. Jemand in einem solchen Geisteszustand können wir nicht verändern, solange er/sie uns nicht danach fragt, wie er/sie sich sonst Verhalten könnte. Im Allgemeinen können wir niemanden verändern. Die Bereitschaft, sich selbst und die Welt anderweitig wahrzunehmen, kann nicht erzwungen werden.

Wie ist es dann mit unseren blinden Flecken? Wir können nicht davon ausgehen, dass nur die anderen diejenigen sind, die Störgefühle bei Menschen auslösen. Wir können auch Menschen unbewusst manipulieren, um zu versuchen, unsere Bedürfnisse erfüllt zu bekommen. Wie könnte ich daran erkennen, dass es an meinen Verhaltensweisen liegt, dass ich zwischenmenschliche Probleme erlebe? Wann liegt es nicht an mir?

Wie sieht Manipulation genau aus?

Beziehungsprobleme in der Psychotherapie zu beleuchten, ist eine Herausforderung für den Patienten und für den Therapeuten. Wenn ich meine Mitmenschen unbewusst manipuliere, versuche ich, ein gewisses Bild von mir selbst (ebenfalls unbewusst) zu präsentieren: Ich möchte von Menschen in einer Art und Weise gesehen werden. Indirekt bedeutet das, dass es auch eine Art und Weise gibt, wie ich auf keinen Fall wahrgenommen werden möchte. Wenn ich versuche, andere Menschen dazu zu zwingen, mich in einer Art und Weise wahrzunehmen, versuche ich auch, ihr Verhalten mir gegenüber zu kontrollieren: Das Bild, das ich ausstrahle, wird meine Mitmenschen und deren Verhaltensweisen mir gegenüber beeinflussen. Wenn ich Menschen manipuliere, gehe ich davon aus, dass sie sich nicht freiwillig verhalten werden, wie ich es bräuchte, damit meine Bedürfnisse befriedigt werden könnten. Aus diesem Grund muss ich sie beeinflussen. Wenn der manipulative Mensch eine qualitativ stark ausgeprägte psychische Störung aufweist, laufen diese Täuschungen von Interaktionspartnern automatisch und regelmäßig ab, ohne sich etwas überlegt zu haben.

Manipulation ist nicht nur eine positive Darstellung von mir selbst anderen Menschen gegenüber. Sie kann auch eine Darstellung eines sehr negativen Selbstbildes über mich selbst, das ich anderen Menschen versuche zu verkaufen, sein. An der Stelle gebe ich Ihnen eine Liste von Rainer Sachse und Ueli Kramer von positiven und negativen Selbstdarstellung und mit den dahinterliegenden Zielen.

Exkurs 1: Positive Selbstdarstellungen

  • Self-Promotion: Sich in ein möglichst günstiges Licht setzen und sich als etwas Besonderes darstellen. Ziel: Anerkennung, Bewunderung und Lob zu erhalten;
  • Entitlement: Sich so darstellen, als ob man etwas Besonderes und Einzigartiges erreicht hätte. Es ist eine Steigerung von Self-Promotion. Ziel: Besondere Bewunderung zu bekommen;
  • Self-Enhancement: Sich selbst übertrieben positiv darstellen, massives Selbstwertgefühl zur Schau stellen, mit Leistungen Besitz, Erfolg usw. angeben. Ziel: Lob und Anerkennung zu erhalten, Neid auszulösen und andere Menschen indirekt abzuwerten.
  • Kompetenz und Expertise: Sich als besonders kompetent darstellen oder als Experte angeben. Ziel: Anerkennung zu bekommen und Einfluss und Macht auszuüben;
  • Exemplification: sich als besonders vorbildlich, besonders moralisch, besonders anständig darstellen. Ziel: Anerkennung, Gewinn von Einfluss und Macht, sich von anderen abzugrenzen können und sich über andere erheben zu können;
  • Attraktivität herstellen: Sich selbst attraktiv zurechtmachen. Ziel: Aufmerksamkeit zu erhalten;
  • Status und Prestige betonen: sich selbst als jemanden darstellen, der einen hohen sozialen Status und ein hohes soziales Prestige aufweist. Ziel: Bewunderung und das Gehören zu den „Besonderen“;
  • Self-Offenbarungen: Sich als besonders offen darstellen, anderen Einblicke in die Person geben, als besonders selbstreflektiert erscheinen, dabei hoch selektiv sein, um ein gewisses Bild von sich selbst zu zeigen. Ziel: Anerkennung und der schnelle Aufbau von Vertrauen, um schnell in Kontakt zu anderen zu kommen;
  • Einschmeicheln: Anderen in hohem Ausmaß zustimmen, andere loben, positive Eigenschaften anderer hervorheben, eigene Bewertungen zurückstellen. Ziel: Herstellung von Beziehung, Vermeidung von Konflikten und das Erhalten von Anerkennung (z. B. für seine Offenheit oder seine Freundlichkeit).

Exkurs 2: Negative Selbstdarstellungen

Bevor ich Beispiele von negativen Selbstdarstellungen aufliste, möchte ich betonen, dass es freilich einen Sinn gibt, ein schlechtes Bild von sich selbst zu präsentieren, auch wenn dies auf der bewussten Ebene mit schmerzhaften Erfahrungen einhergehen kann. Dabei kann jemand einen Mehrwert haben, der zunächst einmal nicht offensichtlich ist. Sowohl positive als auch negative Selbstdarstellungen sollten in der Psychotherapie beleuchtet werden:

  • Abstreiten von Verantwortung: sich rechtfertigen, betonen, dass man für bestimmte Ereignisse und Probleme nichts kann, Verhalten begründen, sich entschuldigen. Ziel: Sich vor Kritik, Abwertung und Strafe zu schützen. Wenn man für einen Fehler nichts kann, dann ist man sozusagen „entschuldigt“;
  • Hinweisen auf zu erwartende Schwierigkeiten: Wenn man vor einer schweren Aufgabe steht, kann man vorsorglich auf die zu erwartenden Schwierigkeiten hinweisen. Ziel: Kritik abzuwenden und selbstwertbedrohliche Informationen zu entschärfen. Es ist auch eine Art und Weise zu sagen, dass etwas an einem nicht liegt;
  • Self-Handicapping: Deutlich machen, dass man bestimmte Dinge nicht kann. Die Gründe können vielfältig sein (Krankheit, Kopfschmerzen, Inkompetenz betonen). Ziel: Sich vor unangenehmen Aufgaben zu drücken, das Scheitern und die Misserfolge zu rechtfertigen, die Verantwortung auf Faktoren abzuwälzen, die mit der eigenen Person nichts zu tun haben. Dabei schützt man seinen Selbstwert, weil es an einem nicht liegt und zusätzlich hat man Ausreden gefunden;
  • Funktionalisieren psychischer Störungen: Auch psychische Störungen können verwendet werden, um unsere Beziehungen zu beeinflussen. Sich als krank abzustempeln ist auch eine Form davon, sich der Verantwortung für Probleme zu entziehen und zu meinen, nichts dafür zu können, dass die Ereignisse eine negative Wende eingenommen haben. Ziel: Entlastung und Zuwendung zu erhalten. Man kann seine Misserfolge auf eine Krankheit schieben, was den Selbstwert schützen kann;
  • Hilfebedürftig erscheinen: Systematisch den Eindruck erwecken, dass man hilfsbedürftig und schwach ist. Dabei macht man deutlich, dass man auf die Hilfe anderer angewiesen ist. Ziel: Zuwendung, Pflege und Entlastung zu erfahren. Die Konfliktvermeidung ist auch ein wichtiges Ziel, um keine Vorwürfe für Fehler zu bekommen;
  • Abwertung anderer Personen: Abwertungen anderer Personen, deren Erfolge, Leistungen, Persönlichkeit usw. Ziel: Sich selbst aufzuwerten und sich von anderen im positiven Sinne abzugrenzen.

Wie wird mit solchen Manipulationsversuchen in Psychotherapie gearbeitet?

In Psychotherapie stehen wir vor einer großen Herausforderung, wenn ein Patient versucht, ein gewisses Selbstbild von sich selbst darzustellen. Diese Manipulation ist ein Versuch, uns zu zwingen, eine gewisse Reaktion dem Patienten gegenüber zu zeigen. Als Psychotherapeuten können wir davon ausgehen, dass, wie der Patient sich vor uns zeigt, er das mit anderen Menschen genauso macht. Darüber hinaus können wir annehmen, dass dieser Manipulationsversuch einen massiven Leidensdruck im Alltag bereitet, ansonsten wäre der Patient nicht bei uns in Behandlung.

Wenn dieser Mensch Schwierigkeiten in seinem Persönlichkeitsstil aufweist und versucht, den Therapeuten unbewusst zu manipulieren, geht er genauso unbewusst davon aus, dass der Therapeut kein Interesse daran hat, ihm zu helfen, obwohl er sich entschieden hatte, sich an einen Therapeuten zu wenden, um sein Leben zu verändern. Der Psychotherapeut steht in einem Konflikt: Er nimmt den Menschen, der vor ihm sitzt, an, wie er ist, während er ihm helfen möchte, sich zu verändern. Der Psychotherapeut hat als Ziel, die guten Absichten hinter den Manipulationsversuchen zu beleuchten, damit der Patient anfängt, neue produktive Wege in der psychotherapeutischen Beziehung auszuprobieren.

Wenn wir den Patienten zu schnell auf seine Manipulationsversuche hinweisen, auch wenn die Verhaltensweisen nicht als Manipulation bezeichnen, wird er schnell die Therapie abbrechen wollen. Der Patient wird schnell denken, dass der Therapeut genauso ist wie alle anderen und die Behandlung sowieso nichts bringen wird. Sollten Sie jemanden kennengelernt haben, der Ihnen sagt, dass er schon mal beim Psychotherapeuten gewesen sei und dieser wirklich schlecht gewesen sei, kann es daran liegen, dass der Psychotherapeut zu schnell auf die problematischen Verhaltensweisen hingedeutet hat, die der Patient noch nicht in der Lage ist zu verkraften. Die Reaktion des Patienten ist in diesem Fall absolut verständlich: Wenn jemand mir erklärt, dass ich einen Teil der Verantwortung für meine Probleme trage und diese Probleme nicht nur an meinen Mitmenschen liegt, bin ich mit der Erkenntnis konfrontiert, dass ich mir das Leben über mehrere Jahre schwieriger mache, als es notwendig wäre. Wenn diese Erkenntnis mir tiefgründig bewusst wird, werde ich mich in einem Trauerprozess befinden, weil ich feststellen werde, dass mein Leben schöner hätte sein können.

Somit ist es kontraproduktiv, zu schnell auf unbewusste Manipulationsversuche in der Psychotherapie hinzuweisen. Was machen die Psychotherapeuten dann, wenn das nicht geht? Zunächst bauen wir eine vertrauensvolle Beziehung zum Patienten auf. In dieser Beziehung zeigen wir dem Mitmenschen, dass wir bereit sind, ihn so anzunehmen, wie er ist. Sollte er uns manipulieren wollen, damit wir seine Bedürfnisse befriedigen, deuten wir nicht sofort auf die Manipulation hin. Zunächst entscheiden wir uns bewusst, sich nicht auf das Spiel (Manipulation ist eine Form des Spielens in einer zwischenmenschlichen Beziehung) des Patienten einzulassen. Stattdessen zeigen wir ihm Verständnis und Mitgefühl, dass seine Situation mit anderen Menschen schwierig ist. Wir äußern zudem eine Meinung dazu, was wir wahrnehmen, was die anderen machen und somit die Situation des Patienten erschwert. Ganz langsam entwickeln wir ein Problemverständnis mit dem Patienten, um zu verstehen, welche Abläufe in seinen zwischenmenschlichen Beziehungen ihm das Leben schwermacht. Dabei beleuchten wir die Emotionen, die er in seinen Konflikten erlebt hat, damit ihm seine Gefühle überhaupt bewusstwerden (viele Patienten wissen nicht, wie sie ihre Emotionen in Konflikten benennen sollen. Sie können sagen, dass ein unangenehmes Körpergefühl erschienen ist, aber mehr nicht). Wenn wir die Emotionen, die bei dem Konflikt entstanden sind, verstehen, können wir versuchen, die Bedürfnisse des Patienten in seinen zwischenmenschlichen Beziehungen zu beleuchten. Sollten wir bereits wissen, ob die in der Gegenwart schmerzhaften Erfahrungen einen Zusammenhang mit Ereignissen aus der Kindheit oder der Jugend aufweisen, werden wir dies mit dem Patienten besprechen, sollte er damit einverstanden sein, über seine Vergangenheit zu sprechen. Dabei machen wir Unbewusstes bewusst, damit der Patient sich selbst tiefgründiger verstehen kann.

Wie Sie sehen, bevor ich einen Patienten mit seinen manipulativen Verhaltensweisen konfrontiere, muss der Patient ein Problemverständnis entwickeln, indem er seine innere Welt besser versteht. Währenddessen muss er das Gefühl bekommen, dass der Therapeut ihn ernst nimmt und auf seiner Seite steht. Unter Therapeuten spricht man an dieser Stelle von Beziehungskredit, wenn der Patient Vertrauen zum Therapeuten entwickelt hat: Wenn ich eine sehr gute Beziehung zu einem Patienten entwickelt habe, kann ich mir erlauben, auf das Risiko einzugehen, den Patienten damit zu konfrontieren, dass seine Verhaltensweisen nicht hilfreich sind, um ein gutes Leben zu führen. Eine gute Bindung zum Therapeuten ermöglicht dem Patienten, die Bereitschaft zu haben, das zu hören, was er nicht hören möchte. Sie kennen das wahrscheinlich aus Ihrem Alltag genauso. In Konfliktsituationen kann es passieren, dass jemand Ihnen sagt, dass sie mit der vom Konflikt betroffenen Person sprechen sollen, weil sie zu ihnen Vertrauen hat und ernst nehmen, was sie zu sagen haben.

Wir müssen uns zunächst einmal stärken

Bevor ich mich damit konfrontiere, was ich anders machen sollte, ist es sehr wichtig, sich zu stärken. Sie sollten ein Gefühl dafür bekommen, was Sie stärkt und Ihnen Kraft gibt, schwierige Situationen zu meistern. Suchen Sie sich einige schwierige Situationen in Ihrem Leben aus und stellen Sie sich die Fragen:

  • Was sind meine guten Eigenschaften, die mir geholfen haben, die Situation zu bewältigen?
  • Welche Kompetenzen habe ich da gebraucht, um diese Situation zu meistern?
  • Wer stand auf meiner Seite und welche Kompetenzen und Eigenschaften hatten diese Menschen, um mir zu helfen? Habe ich mittlerweile diese Kompetenzen und Eigenschaften erworben? Was bräuchte ich noch, um diese Kompetenzen und Eigenschaften zu verbessern oder zu erwerben?
  • Wer sind meine Vorbilder (inkl. Charaktere in fiktiven Werken) im Leben? Warum inspirieren mich diese Menschen?
  • Sollte eine Konfrontation zu meinen Problemen zu belastend werden, gibt es einen Ort oder eine Aktivität, dir mir die Möglichkeit gibt, Kraft aufzutanken? Sollte es keinen echten Ort geben, können Sie sich einen vorstellen und sich selbst erlauben, in Ihrer Vorstellungskraft dort zu verweilen. Es ist sehr wichtig, sich Ruhe und Sicherheit nach einer großen Anstrengung zu gönnen.

Auch wenn Sie einen Beitrag zu Ihren eigenen Problemen leisten, ist es sehr wichtig, auf seiner eigenen Seite zu stehen und fürsorglich mit sich selbst umzugehen. Jeder Mensch macht Fehler und es ist ein Bestandteil unseres Lebens, fehlerhaft zu sein. Fehler ermöglichen uns zu wachsen und bei schwierigen Erfahrungen ist es ebenfalls wichtig, sich die Frage zu stellen, was man aus dieser Erfahrung mitgenommen hat, was uns ermöglicht hat, unser Leben zu verbessern. Sein Leben verändern zu wollen und an sich selbst zu arbeiten, erfordert viel Mut. Dieser Mut darf selbstverständlich mit Selbstfürsorge belohnt werden, indem Sie Kraft auftanken.

Woran erkenne ich, dass ich zu meinen eigenen Problemen beitrage?

Eins der wichtigsten Merkmale, um zu erkennen, dass mein Geisteszustand einen Teil der Verantwortung für meine Probleme trägt, ist darin zu sehen, was die Umgebung mir regelmäßig sagt. In meiner Erfahrung müssen wir drei Kriterien heranziehen, um zu schauen, ob meine innere Haltung zum Teil des Problems gehört:

  • Was wird mir gesagt?
  • Von wie vielen Personen wird mir Ähnliches gesagt?
  • Lösen diese Situationen ähnliche Gefühle, Gedanken aus?

Hier ist ein Beispiel, bei dem es eindeutig ist, dass das Problem nicht an mir/Ihnen liegt: Sie parken, wo ein Parkverbotsschild zu sehen ist, aber Sie haben das Schild übersehen. Ein Mann oder eine Frau sieht Sie bei dieser Handlung und während Sie aus dem Auto aussteigen, beleidigt die Person Sie und bezeichnet Sie als rücksichtlosen Egoisten. Auch wenn die Aussage Sie verletzt, war das nicht Ihre Absicht, verkehrswidrig zu parken, Sie haben ein schlechtes Gewissen und eventuell sind Sie der Person gegenüber verärgert, die Sie beleidigt hat. Warum liegt es nicht an Ihnen, dass die Person Sie beleidigt hat?

  • Es ist eine einmalige Situation. Normalerweisen würden Sie sich gar nicht so verhalten;
  • Es gibt immer noch die Möglichkeit, dass eine andere Person Sie erwischt hätte und Ihnen entweder gar nichts gesagt hätte oder Sie freundlich auf den Fehler hingewiesen hätte;
  • Die Gefühle, die dabei ausgelöst wurden, erscheinen absolut berechtigt, weil man Sie unfair behandelt hat, als ob Sie bewusst die gesellschaftliche Ordnung stören möchten.

Hier ist eine andere Situation, bei der es schwer erkennbar ist, dass es kein Manipulationsproblem ist: Sie haben einen dominanten Mann geheiratet und er beleidigt Sie regelmäßig und zeigt Ihnen, wie schlecht Sie als Mensch sind. Sie haben mittlerweile wenig Selbstwert und zweifeln massiv daran, ob Sie ein wertvolles Mitglied der Gesellschaft sind. Würden Sie den Mut auffinden, über Ihr Problem mit Freunden und hilfreichen Familienmitgliedern zu sprechen, würden sie Ihnen erklären, dass Sie ein guter Mensch sind und Sie es verdient haben, eine andere Lebenssituation zu haben, in der man Sie würdevoll und respektvoll behandelt. Warum liegt es nicht an Ihnen, dass Ihr Mann Sie schlecht behandelt?

  • Andere Menschen haben eine positive Wahrnehmung von Ihnen und finden, dass der Umgang des Mannes Ihnen gegenüber nicht zu dem passt, wer Sie sind und wie Sie sich verhalten;
  • Nur Ihr Mann denkt solche Dinge von Ihnen;
  • Wenn Menschen Sie positiv wahrnehmen und Sie weitestgehend versuchen, alle Menschen gleich zu behandeln, gibt es immer noch einen Spielraum dafür, dass der Mann Sie positiv wahrnehmen könnte, aber er tut das nicht.

In diesem Fall ist das Problem nicht darin zu sehen, dass mit Ihnen etwas Grundlegendes verändern werden muss, weil Sie im Kern sehr viele positive Gefühle bei anderen Menschen auslösen. Problematisch ist eher, dass der Anteil, der denken sollte, dass Sie etwas Besseres im Leben verdient hätte, als derart behandelt zu werden, zu schwach ausgeprägt ist. Wahrscheinlich gibt es Vorerfahrungen aus Ihrer Biographie, die dazu geführt haben, dass Sie diesen dominanten Mann bevorzugt haben als andere Männer. Leider können Verliebtheitsgefühle irreführend sein und auf belastenden Vorerfahrungen in der Kindheit beruhen. Das sind Themen, die durchaus Platz in einer Psychotherapie bekommen dürfen, aber wir können nicht davon ausgehen, dass Sie Menschen unbewusst manipulieren.

Hier ist ein weiteres Beispiel, bei dem wir eher von unbewussten Manipulation ausgehen können: Sie erzählen mit großem Stolz über Ihre Errungenschaften und wie Sie sich anstrengen müssen, um Ihre Ziele zu erreichen. Eigentlich erwarten Sie Komplimente und Lob für Ihre Bemühungen, aber die Umgebung reagiert sehr wenig darauf oder sich Sorgen macht, dass Sie sich übernehmen. Interessanterweise sind die Reaktionen Ihnen gegenüber Situation übergreifend sehr ähnlich, obwohl die Menschen, die Ihnen solche Äußerungen sagen, sich nicht kennen. Sie fangen an zu denken, dass die Menschen nur neidisch Ihnen gegenüber sind, ansonsten würden Sie doch Ihre Anstrengungen loben. Was ist das Problem?

  • Sie lösen eine ähnliche Reaktion bei sehr verschiedenen Menschen in verschiedenen Situationen aus. Es weist uns darauf hin, dass Sie ein Unwohl in Menschen auslösen, wenn Sie über Ihr Thema erzählen;
  • Sie erwarten eine gewisse Reaktion, die Sie nahezu nie bekommen;
  • Sie deuten die Situation in einer Art und Weise, die die Verantwortung nach Außen verlagert („die sind nur neidisch“), was Ihnen keine Chance gibt, über Ihr Verhalten zu reflektieren.

Wenn die Kluft zwischen der Selbst- und Fremdwahrnehmung zu groß wird, können wir langsam von unbewusster Manipulation ausgehen. Wenn Sie davon ausgehen, dass nur Sie oder nur die anderen die Schuld für die Probleme tragen, wird die Situation zunehmend kritischer. Hilfreich ist auch zu beobachten, was nicht gesagt wurde und sich die Frage zu stellen, warum jemand gar nichts zu Ihren Aussagen gesagt hat, obwohl Sie sich eine Reaktion gewünscht hätten? Es entspricht nie der Wirklichkeit, dass nur eine Person ein Problemträger ist. Zu negativ zu sich selbst oder zu anderen Menschen zu stehen oder Menschen in eine Schuhblade zu stecken, schränkt unseren Horizont ein, um über unsere Probleme nachzudenken. Stellen Sie sich in Konfliktsituationen die Frage, was Sie sich von den anderen gewünscht hätten und ob Ihr Verhalten dazu passt, um das zu bekommen, was Sie sich wünschen. Um Leiden aufzulösen, ist es nahezu unmöglich, nicht durch dieses Leiden erneut durchgehen zu müssen. Sie haben wahrscheinlich nicht viel zu verlieren, wenn Sie auf jemanden zugehen und ihn fragen, wie sie auf ihn wirken. Am Einfachsten ist, auch wenn dies sehr unangenehm ist, Ihre Mitmenschen zu fragen, wie Ihr eigenes Verhalten auf sie gewirkt hat, als Sie dies oder jenes getan haben. Sie könnten überrascht sein, wie wertschätzend Menschen damit umgehen können, wenn man sie fragt, was wir besser machen könnten, um unsere Beziehungen oder unser Leben zu verbessern.

Ich danke Ihnen für Ihre Zeit, diesen experimentellen Artikel gelesen zu haben.

Quelle: Sachse, R., & Kramer, U. (2023). Klärungsorientierte Psychotherapie von Persönlichkeitsstörungen. Hogrefe Verlag

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